November 2007
An aktive Politiker mit der Bitte um Unterstützung. Die psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken benötigen eine neue gesetzliche Grundlage für ihre Personalausstattung. Diese sollte auf der Psychiatrie-Personalverordnung aufbauen.
Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist:
Die bundesdeutschen Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie – im Bereich der Kinder- und Jugend- sowie der Erwachsenenpsychiatrie – leiden unter Personalnot.
Die Personalausstattung psychiatrisch-psychotherapeutischer Kliniken, die für eine angemessene stationäre Behandlung erforderlich ist, wird über die Personalverordnung Psychiatrie (Psych-PV) bundeseinheitlich geregelt. Eine im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums durchgeführte bundesweite Umfrage zur Evaluation der Psych-PV durch die Aktion Psychisch Kranke hat aber ergeben, dass die Personalstellen gemäß Psych-PV in bedrohlicher Weise unterfinanziert sind. Die Kliniken können die notwendige Personalausstattung nicht mehr vorhalten.
Der Grund für die allgemeine Absenkung der Personalausstattung ist eine seit über 10 Jahren gültige Regelung der Bundespflegesatzverordnung (BPflV § 6 Abs. 2). Sie hat bewirkt, dass die in den jährlichen Budgetverhandlungen der Krankenhäuser maximal erreichbaren Budgetzuwächse seit Jahren regelmäßig bedeutend unter den tariflich bedingten Personalkostensteigerungen geblieben sind. In einem Teil der Kliniken bestehen mittlerweile z.T. erhebliche Personalengpässe, wie man sie aus der Zeit vor Einführung der Psych-PV kennt. Die psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken haben infolge des sehr hohen Personalkostenanteils (ca. 80 %) die „BAT-Schere“ stärker betroffen als die somatischen (hier Personalkostenanteil ca. 65 %). Auf diese Weise ist das Gebot der Gleichbehandlung psychisch und somatisch Kranker de facto unterlaufen worden.
Zusätzlich hat eine ausgeprägte Leistungsverdichtung in den psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken seit Einführung der Psych-PV stattgefunden. Im Zeitraum 1991 – 2004 stiegen die Fallzahlen erheblich; die Verweildauern, die Pflegetage und die aufgestellten Betten gingen deutlich zurück. Es kamen zeitintensive Pflichtaufgaben ohne Gegenfinanzierung hinzu (Qualitätssicherung, Dokumentation, erweiterte Weiterbildungsanforderungen).
In den psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken ist die Zeit des therapeutischen Personals für Patienten (und Angehörige) das entscheidende Kriterium der Strukturqualität. Sie kann nicht beliebig verkürzt, komprimiert oder beschleunigt werden. Wir sind uns wohl bewusst, dass wir durch Prozessoptimierung zum Qualitätserhalt beizutragen haben. Doch können unsere energischen Anstrengungen nicht mehr die Folgen der inzwischen eingetretenen Personalabsenkung ausgleichen.
Diese besorgniserregende Entwicklung ist eingetreten, obwohl die volkswirtschaftliche Bedeutung psychischer Erkrankungen beträchtlich zugenommen haben, wie an der steigenden Zahl von Arbeitsunfähigkeitstagen und Frühberentungen aus psychischen Gründen erkennbar ist.
Die Unterfinanzierung der Personalstellen nach Psych-PV berührt auch die Bundesländer, da sie Verantwortung für Qualität und Effizienz der „komplementären“ Versorgung tragen. Da stationäres und komplementäres Versorgungssystem sich wie ein System kommunizierender Röhren verhalten, wird eine Unterausstattung der krankenkassenfinanzierten Kliniken zwangsläufig zu einer Kostensteigerung im Komplementärbereich (Finanzierung nach SGB XII und durch Zuwendungsmittel) führen. Die Personalbemessung nach Psych-PV „dient vor allem dem Ziel, in der Psychiatrie eine Therapie zu ermöglichen, die die Patienten befähigt, außerhalb stationärer Einrichtungen ihr Leben weitgehend selbst zu gestalten, sie also wieder in die Gesellschaft einzugliedern.“ (Pressemitteilung des BMA vom 30. April 1990) Dieser präventive und sozialrehabilitative Ansatz psychiatrisch-psychotherapeutischer Arbeit hat in den Kliniken während der letzten Jahre bedauerlicherweise zunehmend zurücktreten müssen.
Die Missstände erfordern aus unserer Sicht:
Die Finanzierung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken muss auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden.
Der Gesetzgeber hat die psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken aus guten Gründen von der Finanzierung nach Fallpauschalen ausgenommen. Derzeit ist ungeklärt, wie ihre Finanzierung nach Ende der sog. Konvergenzphase ausgestaltet sein wird.
Aus unserer Sicht muß ein zukünftiges Krankenhaus-Vergütungssystem – bezogen auf die psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken – folgenden Kriterien genügen:
1. eigenständiges, leistungsorientiertes, tagesbezogenes, pauschaliertes Vergütungssystem.
Es kann nicht als Fallpauschalensystem – in Analogie zum DRG-System der somatischen Medizin – konzipiert werden, da im internationalen Vergleich bislang kein einziges derartiges System mit effizienter Steuerung psychiatrisch-psychotherapeutischer Krankenhausbehandlung erfolgreich realisiert worden ist.
2. ausreichende personelle Strukturqualität bei Einführung des neuen Vergütungssystems.
Das künftige Vergütungssystem muß auf einem Personal-Ist (bzw. Budgetansatz) der Krankenhäuser aufbauen, das sich an der tatsächlichen Erfüllung der geltenden Psych-PV orientiert. Anderenfalls wird deren derzeit massive Unterschreitung zum Maßstab künftiger Finanzierung.
3. Bemessung der Personalausstattung auf der Basis der sog. Behandlungsbereiche der Psych-PV.
Dadurch ist gewährleistet, dass sich die künftige leistungsorientierte Vergütung an konkret bestimmbaren Therapieerfordernissen (im Sinne des personenzentrierten Behandlungsansatzes) orientiert.
4. Fortentwicklung und Anpassung der Psych-PV. Den veränderten Bedingungen in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung ist Rechnung zu tragen.
Ergebnisse der Therapie- und Versorgungsforschung sind mit zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere auch für den mittlerweile sehr hohen Stellenwert psychotherapeutischer Behandlungsmaßnahmen bei nahezu allen psychischen Erkrankungen. Die spezifische Kombination von psychopharmakologischen, psychotherapeutischen und soziotherapeutischen Methoden, wie sie in psychiatrischen Kliniken etabliert ist, muss ihren Niederschlag in der Psych-PV finden.
Daraus leiten sich folgende Perspektiven und Empfehlungen ab:
Psychisch Kranke beklagen sich umso weniger über unzureichende Behandlung, je kränker sie sind. Aufgrund ihrer Störung sind sie oft nicht in der Lage, sich nachhaltig für ihre Interessen einzusetzen und diese in der politischen Diskussion zu artikulieren. Genau aus diesem Grunde sind sie auf den besonderen Schutz des Staates angewiesen.
Die Psych-PV ist eine Qualitätsgarantie des Staates für ausreichende Krankenhausbehandlung. §70 SGB V formuliert: „Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben durch geeignete Maßnahmen auf eine humane Krankenbehandlung ihrer Versicherten hinzuwirken.“ In der Entschließung des Deutschen Bundestages 4. Juli 2002 („25 Jahre Psychiatrie-Reform – Verstetigung und Entwicklung“) wird zurecht an die Zielsetzung der Psychiatrie-Enquete erinnert, die (damals) inhumanen Verhältnisse in den psychiatrischen Krankenhäusern überwinden zu wollen. Die Entschließung stellt eine Warnung vor einer Rückkehr zu den alten Zuständen dar.
Die durch die Psych-PV versprochene Qualitätsgarantie hat zunehmend an Bedeutung verloren aufgrund der mit ihr inkompatiblen Bundespflegesatzverordnung (BPflV). Deren Reformulierung ist in der Diskussion.
Wir bitten Sie darum, im Gesetzgebungsprozess eine Änderung der BPflV zu unterstützen, die eine Rückkehr zu ausreichender Personalausstattung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken (gemäß Psych-PV) erlaubt. Konkret bitten wir Sie, sich gegenüber dem Bundesministerium für Gesundheit für folgende Gesetzesänderungen einzusetzen:
• Anpassung der Berichtigungsrate nach BPflV § 6 Abs. 2 und § 15 Abs.1.
Die Tarifentwicklung eines Budgetjahres (nicht der Vergangenheit) wird ange-messen ausgeglichen. Tarifbedingte Personalaufwendungen sind im Budget zu berücksichtigen
• Zu den Daten, welche der Pflegesatzverhandlung zu Grunde zu legen sind (BPflV § 17, Abs. 4),
müssen auch die sog. Stichtagserhebungen nach Psych-PV und die daraus abgeleiteten Personalanhaltszahlen gehören.
• Zunahme der Fallzahlen als Ausnahmetatbestand berücksichtigen.
Dies ist zwar in BPflV § 6 Abs.1, Satz 4, Nr.1 vorgesehen, kann jedoch nicht vor die Schiedsstelle gebracht werden. Das kann erreicht werden, indem in BPflV § 19 Abs. 3 wegfällt: „§ 6 Abs. 1, Satz 4, Nr. 1“.
• Quersubventionierung zu Lasten der Personalstellen gemäß Psych-PV verhindern.
Nach BPflV § 6 Abs. 1, Satz 4, Nr.4 ist „sicher zu stellen, dass das Personal nicht anderweitig eingesetzt wird“. Die Anforderung „sicher zu stellen“, muss praktisch umsetzbar geregelt werden. Im Budgetabschluss aller Kliniken könnte ausgewiesen werden, wie viele der vereinbarten Psych-PV-Stellen unter dem „Deckel“ tatsächlich finanziert sind.
Für die psychiatrisch-psychotherapeutischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern ist ein separates Budget zu vereinbaren.
• BPflV präzisieren: Neugestaltung des Formblattes L2 LKA BPflV.
Klare Trennung der VK-Werte für „Ärzte (nur Regeldienst)“ und der VK-Werte für Bereitschaftsdienste, Nachtwachen, Ambulanz, Poliklinik, Konsile, Forschung und Lehre.
Der „Medizinisch-technische Dienst“ enthält auch Nicht-Psych-PV-Berufsgruppen. Alle Psych-PV-Berufsgruppen sind als separate Berufsgruppen aufzuführen (separate Spalten im Blatt L2 für Psych-PV-Personal sowie anderes Personal).
• Rechtsweg zur Durchsetzung der Psych-PV beschleunigen.
Die gerichtliche Durchsetzung von Psych-PV-Ansprüchen ist auf eine vertretbare Zeit zu verkürzen. Denn der Instanzenweg Schiedsstelle – Verwaltungsgerichte dauert viele Jahre.
Wir bitten Sie, sich für die von uns angeregten gesetzgeberischen Änderungen einzusetzen.